Test: Remnant 2

Während 2023 vor allem hoch budgetierte Mammutprojekte wie The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom, Diablo 4, Baldurs Gate 3 oder Starfield um die limitierte „Aufmerksamkeitsspanne“ der Spieler*innen buhlen, wagt sich der amerikanische Entwickler Gunfire Games mit einem deutlich unverbrauchteren Label in den kalten Krieg auf dem Massenmarkt. Mit dem Titel Remnant 2 will die Spieleschmiede die Stellung der 2019 eingeführten Souls-Like-Reihe rund um Remnant: From the Ashes in der Spielelandschaft nicht nur langfristig festigen, sondern sich vielmehr endlich von dem Stigma des „Geheimtipps“ lösen. Dabei überarbeitete man nun das System hinter dem Koop-Souls-Like, richtete seine Aufmerksamkeit auf die Kritik der Spieler*innen und veröffentlichte so am 25. Juli 2023 den actionreichen Genre-Mix für PC sowie Xbox Series X|S und PlayStation 5. Für ordentlich Aufsehen sorgte Remnant 2 dabei schon Wochen vor Release, als das Action-Geballer sogar kurzzeitig CS:GO von der Spitze der Steam Charts verdrängte. Ob die Erwartungshaltung der Spieler*innen dem Sequel letztendlich gerecht werden können und viel mehr, inwieweit das neue Projekt vom AA-Studio dem diesjährigen Release-Wust standhalten kann, erläutern wir in unserer Review.

Zugängliche Belanglosigkeiten statt gehaltvoller Spannungsbogen

Die Geschichte in Remnant 2 setzt direkt an das Ende des Vorgängers an und entlässt euch zwar in eine Welt, in der die einstige Alien-Ivasion erfolgreich zurückgeschlagen werden konnte, die Bedrohung durch die außerirdischen “Pflanzenfresser” sich aber nun auf andere Dimensionen verlagert. So tauchen urplötzlich geheimnisvolle Teleportationssteine in den letzten Bastionen der Menschheit auf und beamen nicht nur andere Bewohner in andersartige Welten, sondern zu allem Überfluss euch gleich hinterher. Jetzt heißt es für euer Alter Ego, die differenten Dimension zu bereisen und naja, dem Übel ein weiteres Mal den gar auszumachen. Die groben Grundpfeiler der Story bilden dabei für Neulinge ein recht greifbares Fundament, dem es ohne zusätzliches Engagement des Spielers aber dennoch an Nachvollziehbarkeit und vor allem emotionaler Tiefe fehlt. Wer sich in das Abenteuer nun aber trotz alledem einfinden will, wird wohl dazu genötigt, die optionalen Story-Schnipsel in Text- und/oder Dialogform zu erfassen, die in den einzelnen Welten sowie der Hub-Welt zu finden sind. Die Storyline verbleibt trotz dieser Bemühungen aber bis zu einem gewissen Grad so zweckdienlich wie belanglos, was durch die Willkür in der Missions- und Levelabfolge begünstigt wird: Remnant 2 setzt nämlich auf kein lineares Storygefüge sondern auf eine individuelle Anordnung der Spielwelten, bei der wiederum zufällig aus zwei Questreihen des jeweiligen Levels gewählt wird. Das erhöht den Wiederspielwert durchaus enorm, geht aber zu Lasten des Narrativs: Zugängliche Belanglosigkeit auf Kosten eines gehaltvollen Spannungsbogens. Dennoch: Da wo das Narrativ die Motivation des Spielers kaum zu tragen vermag, schafft Gunfire Games einen alternativen Lösungsansatz und nutzt so gekonnt die Vorteile der variablen Spielwelt aus, um eben diese auf motivationalen Wegen zu stützen.

Motivation durch Einzigartigkeit

Remnant 2 ist zwar nach wie vor im Fundament ein Koop-Shooter, der Roguelike- und Rollenspiel-Elementen als clevere Stütze nutzt, wird hinsichtlich seiner Individualisierungs-Mechaniken fälschlicherweise aber dennoch gerne als Loot-Geballer abgetan. Aufgrund der eher dürftigen Quantität der Kampfesausbeute emanzipiert sich das Soulslike aber keinesfalls in dem populären Subgenre, Gunfire Games nutzt das fast schon obligatorische Spielelement aber indes anderweitig aus, um den Spieler*innen in einer langfristigen Motivationsspirale einzubinden. So ist der Ausrüstungsgewinn so individuell wie der Spielfortlauf selbst, fast schon träge, was eine gewisse Wertigkeit begründet und damit ein Erfolgsgefühl fingiert. Je nach Levelabschnitt, je nach Questreihe, je nach Bossbegenung werdet ihr auf andere Waffen, andere Ausrüstung, andere Mods treffen: Einzigartigkeit als langfristiger strategischer Antriebsmotor.
Auch wenn der Spielaufbau durch seine Zufälligkeit als auch die differenten Welten durch ihren optischen Variantenreichtum zu überzeugen wissen, wirken die einzelnen Biome dennoch teils leer, zu weitläufig, zu oberflächlich – wer dem Spiel demzufolge Inhaltsleere vorwirft, liegt aber gleichsam falsch. Viel zu viele Geheimnisse und zufällige Ereignisse sorgen für die notwendige Substanz in den großflächigen Arealen und rechtfertigen so das experimentellere Spieldesign. Und so heißt es eben auch hier: Klasse statt Masse.

Die Macht der 3

In Gruppen von bis zu 3 Spieler*innen dürft ihr euch nun durch die einzelnen Levelabschnitte ballern, dabei gibt der Host den Story-Fortschritt der Party vor, was aufgrund des ohnehin nicht-linearen Narrativs aber kaum ins Gewicht fallen wird. Für die Individualisierung eures Charakters werdet ihr nicht nur Waffen und Ausrüstung anpassen können, sondern ebenfalls aus diversen Klassen, hier Archetypen genannt, wählen dürfen. Diese wurden im Vergleich zum Vorgänger noch einmal stärker ausgearbeitet, was dem Zusammenspiel eine deutlich strategischere Ausrichtung ermöglicht. Zu Beginn stehen euch so zunächst 4 differente Archetypen zur Verfügung, die grundlegend das konventionelle Klassengefüge abbilden. Mitunter dabei der klassische Damage Dealer, der sich zwar behäbiger steuert, dafür aber auch deutlich mehr Schaden einsteckt, der Jäger, der sich vor allem auf die Schwachstellen seiner Gegner fokussiert, der Doktor, der Mitspieler*innen zu heilen vermag sowie der Supporter, der mit einem tierischen Begleiter in den Kampf zieht (vor allem für Solo-Spieler*innen vorteilhaft).
Die jeweilige Klasse bestimmt dabei nicht nur eure Attribute wie Schaden, Ausdauer und Reliktstärke, sondern komplementiert euren Build auch mit aktiven sowie passiven Fertigkeiten. Erstere werden sukzessiv im weiteren Spielfortlauf freigeschaltet, euer Charakter kann dabei aber immer nur eine Fähigkeit simultan ausrüsten. Hier wird der Damage Dealer beispielsweise in einem kugelförmigen Bereich ordentlich Schaden austeilen dürfen, während der Supporter seinen Gefährten zusätzlich buffen kann. Besonders interessant: im späteren Spielgeschehen erhaltet ihr die Möglichkeit einen zweiten Archetypen zu eurem aktuellen Build hinzuzufügen, was nun das Portfolio der aktiven Spezialangriffe deutlich ausweitet.

Und weil es dem amerikanischen Entwickler-Studio natürlich immer noch an Individualisierungsoptionen mangelte, werdet ihr zusätzlich auf klassenunabhängige Anpassungsmöglichkeiten zurückgreifen dürfen, die nicht weniger bedeutsam das Kampfgeschehen beeinflussen. Dazu gehören nicht nur das bereits thematisierte Relikt mitsamt seinen Fragmenten, sondern auch die Modifikationen eurer Schießeisen. Ersteres sind wertvolle Artefakte, die enormen Einfluss auf euren Spielstil haben werden. Initial mit dem Drachenherz ausgestattet, könnt ihr euch je nach Anzahl der Ladungen innerhalb von Gefechten geringfügig heilen, viele weitere Spielmechaniken wie zusätzliche Schilde oder Lebensraub erweitern dann das Portfolio im Spielverlauf. Des Weiteren besitzt jedes Relikt jeweils 3 Slots für sogenannte Fragmente, zusätzliche Modifikationen, die euch mit diversen Buffs ausstatten. Egal, ob Heilung, Schadensreduktion oder erhöhter Schadensoutput, die Kombinationsmöglichkeiten sind vielschichtig. Ebenso zahlen die Waffenmods auf die Ausrichtung eures Builts ein. So könnt ihr bereits zu Beginn je nach Wahl der Modifikation mit brennenden Geschossen um euch ballern oder kleine giftige Insekten auf eure Gegner loslassen.

Gunfires Balanceakt

Abseits der Schusswaffen könnt ihr euch den abwechslungsreichen Gegnerarten auch im Nahkampf erwehren. Das Kampfsystem ist im Vergleich zum durchaus soliden Gunplay allerdings sehr trivial gehalten: weder Blocken noch Parieren finden so im Souls-Like-Shooter statt. Aufgrund dieser fehlenden strategischen Tiefe verkommt der Nahkampf eher zum lästigen, aber dennoch obligatorischen Beiwerk, denn Munitionsknappheit macht den direkten Kampf im Spielfluss unabdingbar. Eine fragwürdige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass Remnant 2 in erster Linie ein Shooter sein will. Ressourcenknappheit als Rechtfertigung für das Souls-Like-Genre? Durchaus tragbar, verkommt aber abrupt zu einem eher uneleganten Lösungsansatz, wenn die Synergieeffekte mit nahestehenden Spielelemente nicht berücksichtigt werden. Und ja, Remnant 2 bezieht keinesfalls eine klare Position innerhalb der vermeintlichen “Genre-Frage”: man vollführt viel mehr einen Balanceakt zwischen einem anspruchsvollen Action-Geballer und dem unversöhnlichen Souls- Like-Genre. Wer stirbt verliert zwar weder Erfahrungspunkte noch Ausrüstung, Levelabschnitte ab dem letzten Speicherpunkt müssen dennoch neu begonnen werden. Wer speichert setzt außerdem sämtliche Gegner zurück. Das hemmt die Frustration und macht den Shooter erheblich zugänglicher.

Optisch kann der Gunfire Games Shooter unterdessen überzeugen, vor allem die Lichteffekte machen auf den Current-Gen-Konsolen einiges her. Ab und an trifft man zwar auf unscharfe Texturen, die fallen aber nur geringfügig ins Gewicht. Dass der amerikanische Entwickler auf die Unreal Engine 5 setzt, kommt dem Titel durchaus zugute. Die mehr als akzeptable deutsche Lokalisation sowie die stimmungsvolle englische Vertonung runden das Bild ab. Einzig und allein technisch stieß Remnant 2 innerhalb unseres Testzeitraum an seine Grenzen. Auch nach dem offiziellen Release machten vermehrt Verbindungsabbrüche und grundlegende Connecting-Probleme Koop-Spieler*innen das Leben schwer. Zudem kamen kleinere Bugs und Freezes, die den Spielfluss ab und an durchaus beeinträchtigten. Während PC-Spieler*innen aktuell von erheblichen Performance-Problemen berichten, zeigte sich die Xbox Series X-Fassung vergleichsweise aber stabil.

Fazit

Es mag paradox, fast schon hämisch klingen, aber Gunfire Games tritt mit Remnant 2 in einen haltlosen, ja gar illusorischen Konkurrenzkampf, nur um sich schlussendlich in einer Nische zu positionieren, in der sich keiner der Branchenriesen positionieren will. Dabei balanciert man gekonnt zwischen zwei Genre, sorgt für die notwendige Zugänglichkeit, baut einen langfristigen USP auf und landet so zurecht an der Spitze der Steam-Verkaufscharts. Mit dem Fokus auf Individualisierung und dem daraus resultierenden beträchtlichen Wiederspielwert gelingt es dem AA-Studio auf triviale Weise sich ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen, das sich schlussendlich über dessen motivationale Wirkung zu rechtfertigen weiß. Während das Narrativ einen gehaltvollen Spannungsbogen auf Kosten von zugänglicher Belanglosigkeit einbüßt und man sich technisch so einige Performance-Probleme eingestehen muss, gelingt es Gunfire Games hier nichtsdestotrotz einen äußerst stimmigen, herausfordernden Koop-Shooter aufzubauen, der sich nicht zuletzt aufgrund seines Genre-Mixes aus dem Stigma “Geheimtipp” herauskämpft. Aber auch ohne diesen “Welpenschutz” inmitten der aktuellen Konkurrenzsituation sollte Remnant 2 sich nicht beweisen müssen, denn im Kalten Krieg gibt es bekanntlich keine Sieger.

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