Test: The Outer Worlds

Nachdem Bethesda zuletzt mit dem Multiplayer-Spin-off Fallout 76 einen Sturzflug für das postapokalyptische Rollenspiel-Franchise hingelegt hat, versucht zumindest Entwickler Obsidian Entertainment die Flagge des einstigen Genre-Primus hoch zu halten. Wir erinnern uns: Rollenspiel-Veteranen verdankten dem US-amerikanischen Studio 2010 den autarken Rollenspiel-Ableger Fallout: New Vegas, einem Spin-off, das die Anhängerschaft der nuklearen Katastrophen-Reihe bis heute zelebriert. Ohne Lizenz und Publisher Bethesda im Nacken, dafür aber mit langjährigen Genre-Erfahrung und starker Storytelling-Kompetenz, wagte man sich nun an die neue IP The Outer Worlds, die eigens als geistiger Nachfolger des Fallout-Ablegers deklariert wird. Obsidian Entertainment hat nun die Chance Bethesda zu zeigen wie ein gelungenes Rollenspiel auch im AA-Gewand deutlich neue Maßstäbe setzen kann ohne das etablierte Franchise im Rücken.

Ob es dem ambitionierten Studio gelungen ist The Outer World zu einem würdigen Fallout New Vegas-Nachfolger zu transferieren, klären wir in unserer Review.

War Changes.

Anstatt auf Postapokalypse mitsamt seines nuklear verseuchten Ödlands setzt Obsidian Entertainment in The Outer Worlds auf ein solides Sci-Fi-Setting, in welchem sich die Menschheit kurzerhand dazu entschlossen hat abseits unseres blauen Planeten neue Kolonien zu errichten. Als einer der Halcyon-Kolonisten werden wir zu Beginn unseres Abenteuers aus dem Kryoschlaf gerettet. Vergessen von der Außenwelt erwachen wir in einer Gesellschaft, die von Konsumhunger und Machtkämpfen bestimmt wird, was die dort ansässigen Fraktionen unerbittlich gegeneinander aufreibt. Unserer oberstes Ziel ist es nun unter allen Umständen die restlichen Kolonisten aus ihrem Kryoschlaf zu befreien, in der neuen Welt Fuß zu fassen und die Machenschaften des herrschsüchtigen Konzerns namens der “Vorstand” aufzudecken.

Die detailliert gestaltete Welt mitsamt seiner gehaltvollen, sympathischen Charaktere wirken tiefgründig genug, um das Narrativ kompromisslos tragen zu können. In Kombination mit dem humoristsichen Einschlag des gesamten Rollenspiels und der erfrischenden Gesellschaftskritik samt seiner sarkastischen Dialoge schafft es The Outer Worlds durchaus zu unterhalten. Eine bedeutsame Komponente innerhalb des Storygefüges bildet das aktive Entscheidungskonzept. So werdet ihr binnen der digitalen Gespräche vermehrt vor die Wahl zwischen diversen Dialogoptionen gestellt, die euren Spielfortlauf vermeintlich beeinflussen sollen. Die essentielle Tragweite der Konsequenzen sind mit Blick auf das gesamte Abenteuer allerdings eher geringfügig zu spüren. Das Konsequenzen-Konzept geht also durchaus unter, allerdings auch nicht vollständig. So spielen eure Entscheidungen vermehrt in den Augenblicken, in denen ihr sie trefft, eine übergeordnete Rolle, verlieren ihre durchdringende Wirkung aber leider auf der 40-stündigen Kampagnen-Strecke.
Potenzial innerhalb der so liebevoll gestalteten Spielwelt baut Obsidian mit der markanten Varianz der Entscheidungsmöglichkeiten auf. Demzufolge habt ihr fortlaufend nicht die Wahl zwischen einer offensichtlich moralisch-anerkennenden Antwort und einer sittlich subortimalen Aussage. Das zugrundeliegende System reicht weiter und bezieht euer eigenes moralisches Empfinden verstärkt mit ein, was erheblich dem Immersions-Aufbau zuspielt sowie Spielern zu einer erweiterten Informationsbeschaffung motiviert. Die unaufdringlichen Möglichkeiten zwischen “Weiß” und “Schwarz” haben dem Moralsystem durchaus mehr Tiefe verliehen und erhöhten den Wiederspielwert trotz der begrenzten Tragweite enorm.

Der Spieler als unvorhergesehene Variable

The Outer Worlds ist – ähnlich wie sein geistiges Vorbild – ein Rollenspiel aus der Ego-Perspektive, das auf einem leicht angestaubten aber nicht minder soliden Fundament fußt. Abseits eurer Entscheidungsgewalt innerhalb des Storygefüges bietet euch der Questablauf ebenfalls einige freiheitliche Komponenten an. So lassen sich Konflikte nicht nur gänzlich durch Waffengewalt entscheiden auch das behäbigere, verdeckte Vorgehen mitsamt einer durchdachten Rhetorik kann euch problemlos ans Missionsziel führen. Die Quests selbst spiegeln den satirischen Grundtonus des Titels sehr gut wieder, schaffen es spielerisch aber auf Dauer nicht uneingeschränkt mit Abwechslungsreichtum zu punkten. Demnach dürft ihr immerwährend Dungeons betreten, Feinde eliminieren und Gegenstand XY bergen. Die Mannigfaltigkeit entsteht schlussendlich nicht im erzählerischen Rahmen sondern durch die optionalen Lösungswege und Entscheidungen des Spielers selbst. Wer sich im offensiven Kampf seinen Feinde stellen möchte wird abseits der bewährten Schießeisen wie Sturmgewehre, Shotguns, Pistolen und zahlreichen Nahkampfwaffen – ebenfalls Zugriff auf speziellere, unkonventionelle Kampfgeräte erhalten. So zieht der Gedankenkontrollstrahl beispielsweise die Gegner auf eure Seite während der Schrumpfstrahler die Größe der Antagonisten drastisch reduziert. Zudem gesellen sich diverse Effekte wie Plasma und Blitz, die eure Waffen zusätzlich aufpeppen und gleichzeitig das etwas repetitive Waffenaufgebot gekonnt camoufliert. Rollenspiel-Liebhaber werden zudem die Möglichkeit erhalten ihre Waffen zu individualisieren. Durch das integrierte Crafting-System sollen sich so jederzeit Lauf, Griff sowie die Magazingröße anpassen lassen. Das zugrundeliegende System wirkt dabei eher aufgesetzt als es schlussendlich an Tiefe zulassen kann, was nicht zuletzt an der dünnen Komplexität des Crafting-Menüs liegt.

Innerhalb des aktiven Kampfgeschens dürfen Fallout-Veteranen auf eine etablierte taktische Komponente aus der populären Postapoklype zurückgreifen: Das VATS-System hält in einer heruntergebrochenen Form Einzug in den Sci-Fi-Spaß. In Zeitlupen-Manier wird es euch so ermöglicht die einzelnen Körperteile eure Kontrahenten anzuvisieren und gezielt auszuschalten. Neben dem Slowmotion-Effekt stehen euch 18 weitere Fähigkeiten zur Verfügung, die sich in 7 Kategorien separieren. Mitunter ebenfalls dabei neue Dialogoptionen sowie Hacker- oder Stealth-Fähigkeiten, die ihr individuell ausbauen könnt.
In Kombination mit zusätzlichen 42 Perks ergibt sich hier abermals zwar ein Bild von marginaler Komplexität, was allerdings durchaus genügt, um eine motivationalen Grundbaustein im Spiel zu setzen. Die Vorteilspunkte für die 42 passiven Fertigkeiten lassen sich im übrigen lediglich bei jedem zweiten Levelaufstieg ergattern. Wer sich an den Vorteilspunkt nicht satt sehen kann, für den hält Obsidian ein ausgeklügeltes Verfahren in Petto. Je nach individuellen Spielstil bietet euch The Outer Worlds einen permanenten Malus an, der euch im Gegenzug einen Vorteilspunkt beschert. Werdet ihr beispielsweise häufiger von Plasma-Angriffen getroffen, könnt ihr die Schwäche gegenüber diesem Element akzeptieren, nehmt ihr hingegen häufig digitale Nahrungsmittel zu euch, wird das Spiel euch das Angebot unterbreiten laufende Heißhungerattacken als Schwäche zu fokussieren. So oder so erhaltet ihr für den Teufelspakt ein neuen Vorteilspunkt, durch den unter anderem eure Rüstungswerte, Tragekapazität oder Angriffsstärke expandieren können.

Das Konstrukt schwächelt

Innerhalb der offensiven Gefechten beweist die KI nicht unbedingt eine akzeptable, taktisches Kompetenz. Dank fehlender cleverer oder strategisch-sinnvoller Manöver der NPC’s werden diese schnell zu Kanonenfutter degradiert, was dem Spielgeschehen eine entbehrliche Simplizität hinzuaddiert. Zum Glück steuert Obsidian mit insgesamt vier differenten Schwierigkeitsgraden der Leichtigkeit entgegen und überzeugt auf der letzten Stufe sogar mit ausgeprägten Survival-Aspekten.

Auf den intergalaktischen Spaziergängen werdet ihr euch nicht zwangsläufig alleine begeben müssen. So stehen euch einige Begleiter zur Seite, die mit ganz individuellen Kompetenzen und Fertigkeiten aufwarten. Während Parvati beispielsweise technische Präferenzen mit sich bringt, kann Felix auf relevante Waffenfertigkeiten zurückgreifen. Jeweils zwei der Gefährten könnt ihr auf eine Tour mitnehmen, diese helfen nicht nur aktiv im Kampfgeschehen aus, sondern erhöhen beispielsweise ebenfalls eure Inventarkapazität sowie eure passiven Fertigkeiten. Wirklich interessant sind die moralischen Präferenzen und sittlichen Ideale, mit denen die einzelnen Unterstützer daher kommen. Obsidian Entertainment tut konsequent alles daran um der digitalen Spielwelt einen moralischen Tiefgang samt facettenreichen, lebendigen und vorrangig glaubwürdigen Konstrukt zu verleihen.

Die narrativen Elemente sowie der Detailreichtum versuchen behutsam über die geringfügig leblosen Areale – dank mangelnder NPC-Population – hinwegzutäuschen. Gepaart mit dem weitgehend linearen Spielfortlauf der halboffenen Gebiete schafft es Obsidian Entertainment nichtsdestotrotz Halcyon eine gewisse spielerische Rentabilität zu verleihen, die sich nicht zuletzt auch in den Nebenquests äußert. Während einige additionale Aufgaben zwar mit faden Besorgunsgaufträgen eher enttäuschen, erschafft man vor allem durch den humoristischen Einfluss, die folgenreichen Begleit- sowie Fraktionsmissionen ein qualitativ hochwertiges Gefüge an optionalen Tätigkeiten.

Mitsamt einer herausragenden, englischen Synchronisation und der stimmungsvollen Musikuntermalung erschafft Obsidian nicht zuletzt ein atmosphärisches Sounddesign, dass das Abenteuer stimmungsvoll zu tragen vermag. Während die Mimik vorwiegend träge und starr daherkommt, überzeugt die grafische Gestaltung des AA-Titels umso mehr. Leider hat The Outer World ebenfalls an kleinen technischen Komplikationen zu nagen. Während die Texturen häufig aus dem Nichts aufploppen, muss ab und an auch die Framerate kleinere Einbrüche verzeichnen.

Fazit

Obsidian Entertainment legt mit dem Rollenspiel The Outer Worlds schichtweg einen Höhenflug hin, dem Bethesda im vergangenen Jahr verwehrt geblieben ist. Trotz stark linearer Strukturen und den halboffenen, leblosen Arealen tritt The Outer Worlds unabestreitbar in die großen AAA-Fußstapfen des Fallout-Franchise ohne sich zu blamieren. Dank der großen Varianz an Entscheidungsmöglichkeiten und dem tief verwurzelten Moralsystem wertet das amerikanische Studio auch die marginale Komplexität hinter dem Rollenspiel-Konstrukt auf, was vor allem dem Narativ samt humoristischen Einschlag und unterhaltsamer Gesellschaftskritik zu Gute kommt. Obsidian Entertainment setzt schlichtweg auf den Spieler als unvorhergesehen Variable, um den repetitiven Einflüssen entgegenzutreten. Mit den vielseitige Lösungswegen und der undurchsichtigen Moral-Komponente gibt der Fallout New Vegas-Entwickler schlussendlich Bethesda eine Anleitung wie sich das Steuer eines abstürzenden Flugzeuges wieder hoch ziehen lässt.

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