Mit Tales from the Borderlands hat Telltale Games 2014 auf eindrucksvolle Weise bewiesen, dass in Gearbox Loot-Shooter weit mehr steckt als Bazillionen an Waffen, absurd chaotische Schussgefechte und stupide Gags. Zugegeben, der bescheuerte Humor ist natürlich auch in Telltales Adventure-Interpretation zentraler Bestandteil der Experience, hat dank der geführten Erzählstruktur aber nochmal seinen ganz eigenen Charme entwickeln können. Doch nach der plötzlichen Insolvenz-Meldung und der unerfreulichen Schließung des Entwicklerstudios sah es lange Zeit düster aus um das mittlerweile zum Kult gewordene Spin-Off. Rettung naht jedoch in Form von Publisher 2K Games, die dem Projekt unter dem Titel New Tales from the Borderlands neues Leben einhauchen und gleich ein neues Kapitel der Adventure-Reihe öffnet. Aber kann die zweite Staffel auch tatsächlich an die Genialität und den Charme des Erstlings anknüpfen?
Hinter den Lachern
Unser Abenteuer startet – wie es sich für ein Spiel der Marke Borderlands gehört – so absurd wie mitreißend/spannungsreich: Gut ein Jahr nach den Ereignissen in Borderlands 3 fiel der Konzern Tediore auf dem Planeten Promethea ein und zerstörte weite Teile der Infrastruktur. Die leidtragenden Einwohner müssen fortan mit einem neuen Status Quo Leben – Armut, Kriminalität und Korruption prägen das Bild der einst (mehr oder minder) glorreichen Stadt. Unter diesen neuen Gegebenheiten versucht nun auch unser kurioses Protagonisten-Trio ihr Leben wieder in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken und nebenbei mit ihren ganz persönlichen Dämonen Herr zu werden. Während die an den Rollstuhl gefesselte Fran alles daran setzt, ihren Frozen-Yoghurt-Store wiederaufzubauen und Octavio auf der Straße nach Anerkennung strebt, forscht Wissenschaftlerin Anu im Orbit an einer mysteriösen Gerätschaft, die den Waffenkonzernen endgültig den Kampf ansagen soll. Eine Verkettung unglücklicher Ereignisse später finden sich unsere drei Chaoten plötzlich als Staatsfeinde höchster Güte inmitten einer Verschwörung globalen Ausmaßes wieder. Wie? Das ist noch nicht genug heroisches Drama? Natürlich können nur die Drei die drohende Vernichtung des Planeten aufhalten und die nichtsahnenden Bewohner noch retten. New Tales from the Borderlands erzählt ganz serientypisch eine herrlich überspitzte Geschichte, die nicht nur immer wieder über allerlei Videospielkonventionen und sich selbst lachen kann, sondern auch noch kein bisschen mit Ironie und Gesellschaftskritik geizt. Und diese turbulente/temperamentvolle Mischung weiß zu unterhalten! Die Storyline kann zwar hier und da mit einigen schönen Wendungen aufwarten, Hauptmotivationsfaktor ist aber sicherlich die hohe Gagdichte und der ikonische, banale Humor. Wenngleich nicht alle Gags immer gleich gut zünden können, kommt New Tales from the Borderlands doch mit zahlreichen kreativen Ansätzen sowie nicht minder bescheuerten Einfällen um die Ecke, die uns mehr als nur einmal haben laut Auflachen lassen.
Unser Protagonisten-Assemble könnte in Art und Einstellung unterschiedlicher vermutlich nicht sein, was gerade im weiteren Verlauf der Geschichte wiederholt für zahllose ulkige Situationen sorgt. Dabei fällt insbesondere das durchdachte Writing ins Gewicht: Jeder der drei Helden ist trotz des überzogenen Settings wunderbar ausgearbeitet und zumeist emotional-mitreißend erzählt. New Tales from the Borderlands ist hier vor allem eins: Unfassbar charismatisch. Die liebevoll gestalteten Charaktere können es in puncto Sympathie locker mit ihren Pendants aus dem viel gelobten Vorgänger aufnehmen und auch die absurd charmante Inszenierung steht dem Telltale-Orginal in nichts nach. Generell schlägt die Fortsetzung in eine ähnliche Kerbe wie schon seiner Zeit Telltale Games‘ Interpretation, nimmt sich jedoch auch genügend Freiheiten, um noch frisch und unverbraucht aufzutreten. Solltet ihr dem serientypischem Borderlands-Stil allerdings ohnehin schon wenig abgewinnen können, dann wird euch das Sequel vermutlich auch nicht mehr groß abholen. Die Storyline trägt sich so ohne merkliche Längen wunderbar über rund 10 Stunden Spielzeit. Einzig im letzten Kapitel machen sich leichte Ermüdungserscheinungen bemerkbar, das Geschehen wirkte bisweilen unnötig gestreckt.
Wenngleich die Geschichte von New Tales from the Borderlands fest im Kanon des Franchise verankert ist, benötigt ihr prinzipiell keinerlei Vorwissen, um das Abenteuer vollends genießen zu können. Einer Handvoll Anspielungen und Cameo-Auftritte werdet ihr natürlich dennoch begegnen. Das Storykonstrukt selbst steht aber auch unabhängig davon auf ganz eigenen Beinen und dürfte gerade für Neueinsteiger überaus verträglich ausfallen. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings auch, dass beinharte Fans kein Referenzen-Bashing noch und nöcher erwarten dürfen. Insider-Gags werden tendenziell eher in homöopathischen Dosen eingestreut, hätten für unseren Geschmack sogar deutlich stärker in den Fokus rücken dürfen.
Mehr Variation, größerer Umfang
Spielerisch wandelt 2Ks interaktiver Borderlands-Film auf nur allzu bekannten Pfaden: Die meiste Zeit folgt ihr den unterhaltsam geschriebenen Dialogen, wählt hier und da eine von vier Antwortmöglichkeiten aus und formt so den Tonus des Gesprächs. Allzu große Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Geschichte haben diese zwar nur sehr selten, dennoch habt ihr nie wirklich das Gefühl bloß passiver Zuschauer zu sein. Anders wiederum verhält es sich mit der Handvoll Scheidewege, bei denen ihr innerhalb kürzester Zeit eine von zwei Vorgehensweisen auswählen müsst. Diese können durchaus direkten oder auch indirekten Einfluss auf die Story nehmen und sogar das von euch provozierte Ende mitbestimmen. Ein besonders ausgeklügeltes Storykonzept a la Detroit: Become Human solltet ihr hier zwar definitiv nicht erwarten, einen weiteren Spieldurchlauf können die geschichtlichen Abzweigungen dann aber durchaus rechtfertigen. Abseits der ruhigeren Dialogsequenzen hat New Tales from the Borderlands natürlich auch einige brachiale Actionsequenzen im Gepäck, die optisch durchaus hübsch in Szene gesetzt sind.
In bester Telltale-Manier müsst ihr hier die angegebene Tastenkombination drücken, bevor der Timer abläuft, um das Gerangel erfolgreich für euch zu entscheiden. Zwar gibt man sich alle Mühe, die Quick-Time-Events so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, eine wirkliche Herausforderung stellen sie aber zu keiner Zeit dar. Wart ihr dann aber doch einmal unaufmerksam, fallen allem voran die zahlreichen Dead Ends negativ auf. Octavio ist nicht schnell genug ausgewichen? Bildschirmtod. Eure Antwort kam verzögert? Bildschirmtod. Ihr habt ein Item absichtlich fallen lassen? Bildschirmtod. Viele dieser Situationen hätte man zum Wohle des Spielflusses sicherlich sinnvoller miteinander verknüpfen können. Nicht zuletzt auch deswegen, weil euch das Spiel häufig genug dazu ermutigt, experimentierfreudig zu sein und ganz euch überlässt einen QTE auch einfach mal nicht auszulösen. Lobend zu erwähnen ist immerhin, dass 2K Spielern gerade in den Optionen viele Freiheiten gibt, um die spielerische Seite ganz an die persönlichen Präferenzen und Möglichkeiten anzupassen. Sollte euch die Herausforderung nicht groß genug oder ihr auf eine alternative Eingabemethode angewiesen sein, lohnt sich ein Blick in die Settings. Hin und wieder entlässt euch 2K Games außerdem in kleine offene Areale, die wir dann in der Haut unserer Protagonisten selbst erforschen/inspizieren können.
Große Erkundungsmöglichkeiten gibt es hier natürlich ebenfalls nicht, eine nette Abwechslung zum sonst eher linearen Gameplay ist dies aber allemal. So findet ihr neben netten Gesprächspartnern auch den ein oder anderen Credit, den ihr wiederum an Schnellwechselstationen für neue, ausgefallene Skins ausgeben könnt. Einen spielerischen Mehrwert hat die Währung darüber hinaus allerdings nicht. Mit zunehmender Spielzeit sammelt ihr zudem eine schier so endlose Menge an Credits an, dass euch der Sammelkram gerade in der letzten Hälfte kaum noch groß tangieren dürfte. Allein für die vielen irrwitzigen Kommentare, Seitenhiebe und kecken Sprüche, die euch eure Alter-Egos während des Herumstreifens um die Ohren hauen, lohnt es sich aber schon, die jeweiligen Areale einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Abseits davon stellt euch 2K Games außerdem immer wieder vor kleinere Minispiele. Das Highlight ist hier sicherlich Vaultlanders – eine Art simplifizierte Brawler-Hommage, in der ihr mit euren erbeuteten Sammelfiguren gegen die eines Kontrahenten antretet. Prinzipiell müsst ihr in den rundenbasierten Auseinandersetzungen nichts weiter tun, als den A-Knopf zu bashen sowie hin und wieder eine Wischbewegung auszuführen – charmant inszeniert sind die Battles aber dennoch! Insbesondere die vielen bekannten Charaktere aus dem Borderlands-Universum, die ihr eurer Sammlung hinzufügen könnt, machen den Reiz des Spiels aus, darunter selbstverständlich Fanlieblinge wie Lilith, Brick oder Roland.
Sagt den Rucklern ade!
New Tales from the Borderlands setzt wenig überraschend einmal mehr auf den unverkennbaren Cell-Shading-Look der Hauptspiele. Die Optik ist wie üblich simpel, aber schick in Szene gesetzt und fällt dankenswerterweise nie zu klinisch aus. Die Umgebungen sind detailverliebt gestaltet, gerade die Mimik der einzelnen Charaktere kommt in den Dialogpassagen wunderbar durch und verleiht dem sonst so steifen Comic-Einerlei eine willkommen lebendige Note.
Im Gegensatz zum einstigen Telltale-Standard fußt New Tales from the Borderlands technisch auf einem sehr sauberen Grundgerüst. Inflationär eingestreute Framerateeinbrüche und Pop-Ups gehören damit (endlich!) der Vergangenheit an, auch allzu lange Ladezeiten oder gar Synchronausfälle müsst ihr nicht mehr fürchten. Einzig die eigenwillige Steuerung nagt ab und an schonmal etwas am Geduldsfaden. Das Abenteuer ist dahingehend recht unnachgiebig und lässt euch bestimmte Interaktionen erst dann ausführen, wenn ihr auch wirklich im richtigen Abstand respektive Winkel zum Objekt eurer Begierde steht. Besonders unglücklich ist dies in Kombination mit den eher schwammigen Bewegungsmustern unseres Chaoten-Trios.