Es ist eine Kunst für sich, Charaktere und Figuren zu erschaffen, die uns – dem Spieler – wirklich so sehr ans Herz wachsen, dass wir im Verlauf des Spiels mit ihnen leiden. Als Beispiele hierfür gelten unter anderem die Mass Effect-Reihe – in der wir unser Herz gleich an eine gesamte Crew verlieren – The Last Of Us oder auch Life Is Strange. Besonders letzterer zeichnet sich als Gesamtwerk keineswegs durch seine Grafik oder die Spielmechaniken aus, sondern punktet in erster Linie mit seinen glaubhaft geschriebenen Charakteren sowie einer emotional packenden Story. Das vom französischen Indie-Entwickler Asobo Studios produzierte Werk A Plage Tale: Innocence möchte einen recht ähnlichen Weg einschlagen. Ob es dem Titel gelingt und warum es in den Amazon Gaming-Charts aktuell einen besseren Start als Rage 2 erwischt hat, erfahrt ihr in meinem Test.
Wenn Vergangenheit und Gegenwart sich vermischen
Für ihr neuestes Werk haben sich die Entwickler ein wirklich ausgefallenes Szenario einfallen lassen, welches womöglich auch von der finalen Staffel „Game Of Thrones“ profitieren durfte. Klar, das Mittelalter ist schon lange keine weltbewegende Neuheit mehr und auch durch eine virtuelle Version Frankreichs durften wir bereits spazieren. Aber mussten wir schon einmal im Frankreich des 14. Jahrhunderts vor der Inquisition flüchten und dabei das Rätsel um eine unheimliche Ratten-Plage lüften? Ich glaube nicht. Genau das (oder etwas ähnliches) dürften sich die Damen und Herren von Asobo gedacht haben, denn sie werfen uns in genau ein solches Setting. Dem Ganzen setzen sie hierbei noch die Krone auf, indem Sie uns nicht in die Haut eines stählernen Helden in eiserner Ritter-Rüstung, sondern in die eines verängstigten jungen Mädchens stecken.
Amicia de Rune ist eine 14-jährige Adlige, die sich – dank ihres Vaters – bestens mit ihrer Steinschleuder und dem Jagen von Tieren auskennt. Ihr jüngerer Bruder Hugo hingegen lebt seit seiner Geburt verborgen zu Hause. Er wird auf Grund einer mysteriösen Krankheit von seiner Mutter gepflegt. Durch diese Gegebenheiten sind die Geschwister einander nahezu völlig fremd. Als jedoch eines Tages die Inquisition vor der Haustür steht und beide Eltern im Zuge der Suche nach ihrem Sohn kaltblütig ermordet, müssen Amicia und Hugo miteinander vorliebnehmen. Sie flüchten ins Ungewisse und was sie dort vorfinden, ist ein weiterer Rückschlag. Die Stadt, in der die zwei Zuflucht suchen, wird von einer mörderischen Rattenplage heimgesucht, der Sie direkt in die Arme laufen.
Daraus entspinnt sich eine fesselnde Geschichte, in der die zwei Geschwister nicht nur ein Heilmittel für Hugo, sondern auch zueinander finden müssen. A Plague Tale: Innocence schafft es dabei nahezu perfekt seine Figuren und deren Beziehung zueinander aufzubauen. Man fühlt direkt zu Beginn mit den Charakteren mit, weil die Entwickler sich großzügig Zeit nehmen, um Sie uns näherzubringen.
Seichtes Gameplay
Spielerisch haben die Entwickler auf eine gesunde Kombination aus Schleicherei, Rätsel und Action gebaut. Ein Key-Feature ist außerdem eine – überraschenderweise – nicht nervige Partner-Integration. Die meiste Zeit über schleichen wir uns, gemeinsam mit Hugo im Schlepptau, an Gegner vorbei. Zwischendurch machen wir auch immer wieder von unserer Steinschleuder gebrauch, um Gegner entweder abzulenken oder gar auszuschalten. Die besagte Steinschleuder können wir im Laufe des Spiels mit gesammelten Materialien weiterentwickeln und so später auch mit weiteren Geschossarten befüllen. Außerdem können wir hin und wieder Hugo einsetzen, um ihn beispielsweise durch kleine Löcher schlüpfen zu lassen, damit er uns durch Öffnen der Türen einen Weg ebnet.
Spannend wird es auch, wenn wir auf die Ratten-Plage treffen und vor ihr flüchten müssen. Hierbei spielt Licht eine extrem wichtige Rolle, da die biestigen Viecher sich davor fürchten und bei Kontakt sofort zurückweichen. Fackeln und Lampen sind daher unsere besten Freunde, wenn es dunkel wird. Treten wir in die Dunkelheit sind wir meist direkt Rattenfutter. Doch auch hier halten die Entwickler ein paar kleinere Rätsel parat. So müssen wir beispielsweise an der Decke hängende Schinken-Keulen herunterschießen, um eine Ratten-Meute umgehen zu können.
Man merkt an jeder Ecke, dass die Entwickler sich darum bemüht haben, Abwechslung in das relativ eintönige Gameplay zu bringen. Das funktioniert über einen Großteil der knapp 15-stündigen Kampagne recht solide, ist aber bei weitem kein Beinbruch, da die Story das alles mehr als nur auffängt und über die volle Zeit bei Laune hält. Einzig die Bosskämpfe wirken ein wenig erzwungen.
Technik und Story auf Augenhöhe
Um die emotionale Story gut zu vermitteln, hat man sich auch auf der technischen Seite eine Menge Mühe gegeben. Das Resultat: die Zwischensequenzen in A Plague Tale: Innocence sehen einfach großartig aus! Mimik und Gestik sind einfach „on point“ und helfen dabei, schnell eine Bindung mit den Charakteren aufzubauen. Abseits jener Sequenzen schwächeln die Animationen und Gesichter jedoch teilweise, was aber nicht extrem negativ auffällt. Hierbei sollte man auch immer im Hinterkopf behalten, dass es sich um eine Produktion mit Indie-Budget handelt. Das zwingt die Entwickler irgendwann einfach dazu, Abstriche machen zu müssen.
Abgesehen davon sieht A Plague Tale: Innocence wie gesagt fantastisch aus. Egal ob wir durch malerische Wälder, dunkle Keller oder eine heruntergekommene Stadt schleichen, die Grafik weiß zu beeindrucken. Nicht zuletzt durch höchst atmosphärische Lichteffekte, super Texturen und enorm vielen Details. Abgerundet wird das Gesamterlebnis mit tollen Synchronstimmen, die sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch passend wirken. Der Soundtrack liefert zusätzlich eine optimale Musikkulisse in allen Situationen.