Test: Fallout 76

Drei Jahre ist es jetzt her da sendete Bethesda die selbsternannten Solo-Spieler unter euch in Fallout 4 auf große Mission. Wem der Abenteuerurlaub allein noch nicht spannend genug war, darf sich zukünftig nun auch mit Freunden auf Reisen begeben. In Fallout 76 zieht es euch mit eurem Gefolge nach West Virginia, wo die Postapokalypse gerade erst eingesetzt hat. Nach einer mehrwöchigen Beta-Phase dürfen PlayStation 4-, Xbox One- sowie PC-Enthusiasten sich ab sofort offiziell in den Kampf um das Ödland stürzen. Ob das Hauptspiel einige Fauxpas der Beta ausräumen kann und wie sich die vollständige Version des Rollenspiel-Epos im Mehrspieler-Segment macht, haben wir für euch im Folgenden zusammengestellt:

Country Roads

Wir schreiben das Jahr 2076. Die Welt wurde durch einen atomaren Krieg in ihre bereits schwankenden Knie gezwungen und die einzige Hoffnung, die der humanen Lebensform und dem blauen Planeten nun bleibt sind 122 gigantische Schutzbunker. Die von der Firma Vault Tec in Zusammenarbeit mit der Regierung entwickelten Vaults öffnen sich nun nacheinander und befreien die konservierten, menschlichen Geschöpfe aus ihrem tiefen Schlaf.
Ein Szenario, dass uns in Fallout 76 gut 25 Jahre vor den Ereignissen in Fallout 4 und somit in die frühe Post-Apokalypse entlässt. Zum 300. Jahrestag der Vereinigten Staaten von Amerika dürfen wir nun also endlich einen Fuß in die fertige Version des Rollenspiel-Epos setzen.

In Fallout 76 liegt euch die Welt um West Virgina zu Füßen, die ihr als frischgebackener Ödländer nun vollkommen frei erkunden dürft. Aufgrund des frühen postapokalyptischen Spielgeschehens fehlen in Appalachia allerdings jegliche menschliche NPCs. Die Story des Endzeit-Rollenspiels wird also lediglich durch Terminals, Roboter oder Hollos getragen, was der Spielwelt einen vereinsamten und isolierten Tonus verleiht. Die Spielwelt selbst wirkt dadurch charakterschwach und trotz ihrer immensen Größe recht minimalistisch sowie leblos, die Story scheint aber auch gleichzeitig nicht im Fokus des Spiels stehen zu wollen. Stattdessen fokussiert sich Fallout 76 auf den frischen Multiplayer-Aspekt, der eine nicht unbedingt maßgebliche Anzahl an weiteren Spielern in eure Instanz versetzt. Das Multiplayer-Rollenspiel schreibt sich dabei auf die Fahne kein vollumfängliches MMO zu sein und wartet deshalb mit einer geringen Spieleranzahl pro Server auf, wodurch die verlassene und vereinsamte Spielewelt unglücklicherweise zunehmend betont wird. Das Szenario der frühen Postapokalypse bleibt aber gerade dadurch glaubhaft, wenngleich auch spielerisch eher verhalten und unaufregend.

Gespickt mit einer Prise Fallout Charme schafft es das Rollenspiel zumindest zum Erkunden zu motivieren. Als federführende, mitreißende Story hinkt der zurückgetretene Auftritt von Fallout 76 allerdings noch erheblich.

Möge die Jagd beginnen

Fallout 76 ist trotz seiner zahlreichen Fallout-Anleihen durch und durch ein Multiplayer-Spiel. Die komplette Kampagne bestehend aus diversen, voneinander losgelösten Missionen darf und muss zuletzt sogar komplett im Koop bestritten werden. Tauschen und Handeln zwischen Spieler ist ausdrücklich erwünscht, während die Kommunikation untereinander durch Emoticons, einem Fotomodus und dem flexiblen Partysystem gefördert wird. Aber selbst einsame Wölfe kommen auf ihre Kosten und dürfen Appalachia auf eigene Faust erkunden. Große Abstriche müssen Solospieler dabei keine machen, der Fallout-Formel sei Dank.

Um der neuen Gefahr der unerwünschten PvP-Kills Herr zu werden, hat Bethesda ein gänzlich neues Kopfgeld-System implementiert, das Spielverderbern in erster Linie den Garaus machen soll, während es vor allem Neulinge schont. Als Ödländer habt ihr nämlich die Möglichkeit menschliche Spieler jederzeit in einen Kampf zu verwickeln (sofern diese Level 5 erreicht haben) indem ihr sie einfach unter Beschuss nehmt. Sollte euer Gegenüber den Schusswechsel erwidern, startet ein PVP-Match, dessen Sieger sich über den Schrott und die Rohstoffe des jeweils anderen hermachen darf. Sollte eurer Mitspieler jedoch entgegen der Erwartungen keinerlei Interesse an einem Stelldichein haben, nimmt er solange er nicht zurück schießt, nur geringfügig Schaden. Das Feature erlaubt friedfertigen Spielern so die Flucht aus einem ungewollten Kampf. Gelingt dies dem Spieler nicht und er muss trotz des geringen Schadensoutputs sein Leben lassen, greift eine gänzlich neue Regelung: Der Mörder wird nun als ebensolcher für alle Spieler auf der Karte markiert und mit einem Kopfgeld versehen, das er auch noch aus eigener Tasche bezahlen muss. Die Jagd auf einen Ausgestoßenen beginnt!
Das neuerliche System funktioniert in der Praxis ausgesprochen gut und gerade die abschreckende Wirkung sorgt für ein harmonisches Miteinander in West Virginia. Selbstverständlich hängt eine solche Multiplayer-Spielerfahrung maßgeblich von der Einstellung der eigentlichen Spieler ab, in unserer Test-Session hat Bethesdas Zutun aber bereits erste Früchte getragen und sich positiv in das Multiplayer-Konzept eingefügt.

Karten-Wundertüten

Während ihr als ehemaliger Vault-Bewohner durch die Spielwelt streift und Aktivitäten jeglicher Art ausführt, dürft ihr euch immer wieder über Erfahrungspunkte und neu erreichte Level freuen. Ähnlich wie die Original-Spielereihe setzt auch Fallout 76 auf das altbewährte S.P.E.C.I.A.L.-System, jedoch in einer etwas anderes Zusammensetzung als es Veteranen gewohnt sind. Im Rahmen eines jeden Level-Ups dürft ihr einen einzelnen Skillpunkt in eine der sieben genannten Attribute investieren. Diese haben allerdings keinerlei Einfluss auf eure Statuswerte, sondern bilden konkreter noch die Grundlage für das ausgeklügelte Karten-System. So erhält jeder Spieler alle paar Level neue Spielkarten, die bestimmte Boni verleihen und einem der S.P.E.C.I.A.L.-Attribute zuzuordnen sind. Je weiter ihr ein Attribut ausgebaut habt, desto mehr oder auch höherpreisige Skills könnt ihr dort platzieren und letztlich ausrüsten. Dieser Trading-Card-Mechanismus basiert grundlegend auf Glück, zeigt sich für uns aber durchaus motivierend und fördert maßgebend den Handel zwischen Spielern.
Das flexible Skill-System erlaubt es euch dabei eure Karten problemlos jederzeit an eure Gruppe oder Situation anzupassen, ist aber ähnlich wie der komplette Einstieg in Fallout 76 zunächst sehr mühselig und undurchsichtig.
Einsteiger müssen auf ein durchdachtes Tutorial verzichten und werden stattdessen schlichtweg in die große weite Welt von Apalachia geworfen. Kein Wunder also, dass Unwissen hier und da schnell zu Frustmomenten führen kann.
Das ohnehin schon unausgeglichene Balancing und die ständig variierenden Anforderungen sorgen im Anschluss für eine unüberwindbare Einstiegshürde, die wohl nur die nervenstärksten Neulinge einreißen können.

Wichtige Regeln für begeisterte Camper

In Fallouts West Virginia wimmelt es nur so von kleineren Aufgaben und umfangreichen Quests, die darauf warten mittels Radiosignalen, Notizen oder Holobändern entdeckt zu werden. An bestimmten Orten lassen sich sogar Events aktivieren, die ihr gemeinsam mit Spielern in der näheren Umgebung bestreiten könnt. Solltet ihr einmal kein Interesse daran haben, einer linearen Quest von A nach B zu folgen, könnt ihr die Spielwelt auch jederzeit frei erkunden und Bethesda-typisch so ziemlich jeden Gegenstand einsacken, den ihr finden könnt. Und das lohnt sich richtig, hat der Schrott in Fallout 76 doch einen deutlich höheren Stellenwert als noch in Fallout 4. So bilden diese Ressourcen die Grundlage für das ausgeklügelte Crafting-System mit dessen Hilfe ihr Waffen oder auch Rüstungen herstellen könnt.
Noch viel wichtiger ist aber die Abhängigkeit von eurem Camp, das euch als Basis und Rückzugspunkt in der feindseligen Welt von Fallout 76 fungiert. Neben vielen nützlichen Einrichtungsgegenständen wie Werkbänken, Betten oder Kochtöpfen, können erfahrene Pfadfinder auf allerlei Dekorationen zurückgreifen, die dem eigenen Lagerplatz einen individuellen Touch verleihen. Als kleines Schmankerl kann das Camp sogar jederzeit – gegen ein kleines Entgelt – an einem beliebigen Ort verschoben werden. Doch Obacht: Eure Stützpunkte sind zwar euer Eigentum, aber nicht gänzlich unantastbar und können von Feinden jederzeit angegriffen werden.

In Fallout 76 halten erstmals auch Survival-Elemente Einzug ins postapokalyptische Franchise. So werdet ihr gezwungen regelmäßig Nahrung zu euch zu nehmen, sowie Wasser zu konsumieren. Haltet ihr euch nicht daran, werdet ihr schnell mit schrumpfenden Lebensbalken und verkleinerten Ausdauerleisten bestraft. Ganz so einfach ist die Beschaffung von dekontaminierten Lebensmitteln in einer postapokalyptischen Spielwelt dann aber doch nicht. Wer sich zu sehr auf die unbehandelte, natürliche Verpflegung verlässt, wird auf Dauer mit Krankheiten und diversen Mutationen zu kämpfen haben. Während nicht alle Mutationen zwingend negativ behaftet sein müssen, zwingen Krankheiten euren Charakter zur wiederholten Aufnahme von Nahrungsmitteln.
Der zunehmende Fokus auf den Survival-Aspekt erweitert das bekannte Spielkonzept zwar um eine neue frische Komponente, ist auf Dauer aber auch ohne eine der vielen Krankheiten und Mutationen schon störend genug. Die sich sich alle paar Minuten leerenden Balken, der ständige Druck essbare Materialien zu sammeln und die permanente Nahrungszufuhr können eher störend in den kohärenten, separaten Questverlauf eingreifen.

Die Zusammenarbeit im Team ist dabei zwar nicht zwingend erforderlich, wird durch den Survival-Aspekt allerdings gefördert und sorgt für die so notwendige Kommunikation im Multiplayer-Rollenspiel.

Technische Unzulänglichkeiten

Fallout 76 besticht durch seine immense Größe und nicht minder abwechslungsreichen Spielwelt, die allerdings unter ihrer etwas altbackenen Grafikleistung leidet. Dass der Multiplayer-Ableger der Rollenspiel-Reihe auf der etwas in die Jahre gekommenen Engine des Vorgängers Fallout 4 basiert, ist nicht abzustreiten und sorgt für jede Menge texturarmer und spät nachladender Grafikelemente.

Hinter der weitläufigen Open-World-Fassade und den abwechslungsreichen Umgebungen verbirgt sich in Fallout 76 allerdings ein schwaches technisches Grundgerüst, das auch nach einer 4 Wochen langen Beta-Phase schlichtweg auf ganzer Linie enttäuscht. Elendig lange Ladezeiten und unvermeidbare Spielabstürze bilden da nur den Gipfel des ohnehin schon unendlich großen Eisbergs. Spieler der Releaseversion müssen sich in diesen Tagen ein dickes Nervenkostüm anschaffen, um den ständigen Framerateeinbrüchen und Performance-Problemen nicht zu erliegen.
Selbst die Xbox-One-X-Version des Rollenspiels hat trotz Hardware-Power immer wieder mit Stabilitätsproblemen zu kämpfen.
Haben euch diese technischen Mängel noch nicht in die Knie gezwungen, schaffen es dann vielleicht aber die zahlreichen Bugs und Glichtes, die stellenweise sogar einen kompletten Spielneustart erzwingen.

Abhilfe ist jedoch bereits in Sicht, denn Bethesda gab zuvor bereits bekannt, dass einige Updates geplant sind, die Fallout 76 auf ein höheres Niveau anheben und schwerwiegende Fehler ausmerzen sollen. Neben dem über 50 GB großen Day One Patch standen mit einem weiteren XXX GB großem Update bereits zahlreiche Verbesserungen ins Haus, die unsere Internetleitung ordentlich zum qualmen brachte.

Fazit

Den perfekten Abenteuerurlaub samt All-inclusive-Service dürft ihr bei Fallout 76 kurz nach eurer Anreise noch nicht erwarten. Dafür schwächelt der Titel mit einem technisch schwachen Grundgerüst, das neben Performanceeinbußen auch mit Bugs, Glitches und eine eher altbackene Grafikleistung auf den Plan tritt. Während das neue Skillkarten-System, die Camp-Mechanik und auch die kooperative Komponente durchaus motivieren, bleibt das technische sowie grafische Gerüst deutlich hinter seinen Erwartungen zurück. Die Welt selbst trumpft mit einer immensen Größe auf, überzeugt außerdem durch das ausgeklügelte Kopfgeld-System, schafft es aber gleichzeitig nicht die Spielwelt lebendig genug zu gestalten und die eigensinnige Story in ein spannendes Umfeld zu katapultieren. Fallout 76 bietet Veteranen des Rollenspiel-Epos eine solide Multiplayerspielerfahrung, lässt Einsteiger aber leider erbarmungslos links liegen. Solospieler hingegen kommen durchaus auf ihre Kosten, wenngleich sie einen Großteil des Potenzials und Spielspaßes nicht ausschöpfen können.

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